Ein Brückenschlag zu… Cornelius Gruner vom ADFC

Der Auftakt zu unserer Kampagne im Sommer hat hohe Wellen geschlagen – und eines wurde dabei klar: Die Idee, die alte Rosensteinbrücke zu erhalten und umzunutzen, begeistert die Stuttgarter*innen. Genau das war unser Ziel. Aber wir wollten noch etwas anderes: den Diskurs eröffnen. Wir möchten die Diskussion darüber, welche zukünftige Nutzung der alten Eisenbahnbrücke sinnvoll, notwendig oder wünschenswert ist, in die Öffentlichkeit tragen. Lasst uns darüber sprechen, was Stuttgart hier über dem Neckar braucht! Darum haben wir auf unserer Website zum Brückenschlag ein neues Format gestartet: In unserer Interviewreihe "Ein Brückenschlag zu…" befragen wir Stuttgarter*innen zu ihren Wünschen und Ideen für die Rosensteinbrücke – und die können gerne auch ganz konträr zu den unsrigen sein. Denn so geht Diskurs: offen, transparent und fair. Den Auftakt macht Cornelius Gruner, der sich für den ADFC Stuttgart schon seit fast vier Jahrzehnten für den Radverkehr in Stuttgart starkmacht. Kein Wunder also, dass ihm dieser Aspekt beim Brückenschlag ganz besonders am Herzen liegt - aber lest selbst:

Lieber Herr Gruner, wie Sie wissen, haben wir als Fraktionsgemeinschaft PULS einen Ideenwettbewerb für die Umnutzung der Rosensteinbrücke beantragt. Was wäre hier aus Sicht des ADFC die sinnvollste Option?

Was wir hier brauchen, ist ein Radschnellweg. Den bekommen wir nur über die alte Bahnbrücke, in deren Anschluss sich dann auch der freiwerdende Tunnel nutzen lässt. Denn von der neuen Neckarbrücke lässt sich zwar später die Baustraße nutzen, danach landen die Radfahrer*innen aber wieder in den Parkbereich mit Mischverkehr. Dasselbe gilt für die Cannstatter Straße. Selbst wenn man sie zurückbaut und eine Spur abzweigt, geraten Radfahrende spätestens beim Leuze wieder in den Mischverkehr mit Fußgänger*innen.

Was spricht noch gegen die neue Neckarbrücke nebenan als Radschnellweg?

Im Moment ist hier vor allem das Problem, dass die Brücke zugleich Geh- und Radweg ist und deshalb nur mit Schrittgeschwindigkeit befahren werden kann. Das ist grundsätzlich eine falsche Ausschilderung. Aber hier lässt sich eine Radschnellverbindung ohnehin nicht realisieren, weil man anschließend wieder im Park landet. Stuttgart und Bad Cannstatt sind radverkehrstechnisch überhaupt nicht miteinander verbunden, deshalb sollten wir die Chance mit der Rosensteinbrücke unbedingt nutzen. Zusammen mit dem alten Bahntunnel wäre sie die einzige Chance, um von Bad Cannstatt nach Stuttgart zu gelangen, ohne dabei in Konflikt mit dem Fußverkehr zu geraten.

Unsere Visualisierung für den Brückenschlag Stuttgart war ja nicht als konkreter Planungsentwurf gedacht, sondern vor allem als Anregung, um die Bürger*innen Stuttgarts für die Idee zu begeistern. Dabei haben wir den Fokus zunächst einmal auf den Aspekt der Aufenthaltsqualität gelegt – und wurden vom ADFC dafür kritisiert. Genau darum möchten wir die Diskussion darüber, was die beste Option für die Umnutzung der Brücke ist, nun in die Öffentlichkeit tragen - schließlich ist ein Ideenwettbewerb ja ohnehin das Ziel unseres Antrags. Warum sieht der ADFC die Idee einer parkähnlichen Neckarüberquerung kritisch?

Ich gönne Fußgänger*innen jeden Erholungsraum, gar keine Frage. Nur ist das jetzt wirklich ein Gebiet, in dem die Stuttgarter*innen bereits riesige Parkanlagen haben. Es ist für den Radverkehr nichts gewonnen, wenn wir die Situation vom Park unten auch nach oben auf die Brücke verlegen, so wie es in der Visualisierung dargestellt wurde. Deshalb plädiert der ADFC dafür, auf der Brücke eine Trasse für den Durchgangsverkehr freizuhalten und dabei die Querungen zu minimieren.

Wie würde der ideale Brückenschlag in Ihren Augen aussehen?

Es ist natürlich logisch, dass auf der Rosensteinbrücke bei 16 Metern Breite mehr als nur ein Radschnellweg möglich ist. Unsere Vision beim ADFC wäre ein vier Meter breiter Radschnellweg in der Mitte der Brücke, der vom parkähnlichen Fußverkehr an beiden Seiten abgetrennt ist. Es braucht eine saubere, gerade Trennung zum Beispiel durch eine grüne Hecke, auch sollte es nur wenige Kreuzungsmöglichkeiten geben. Natürlich sollten Fußgänger*innen, die zum Beispiel einem Schiff nachsehen möchten, auch auf die andere Seite der Brücke gelangen können – aber das sollte sich dann auf maximal zwei Stellen begrenzen.

Was wäre der große Vorteil der Tunnelanbindung?

Der Vorteil für eine Radschnellverbindung durch den Tunnel ist, dass der Park verkehrstechnisch entlastet wird und es zu weniger Konflikten zwischen Rad- und Fußverkehr kommt. Wenn man sich die Rosensteinquartiersplanung ansieht, endet ein Radschnellweg direkt vor dem Tunnelmund, es ist also bereits Teil der Idee. Der Bahntunnel ist nur unwesentlich länger als zum Beispiel der bekannte Fahrradtunnel in Tübingen. Ich hielte es zwar nicht für sinnvoll, denkbar wäre es angesichts der Breite des Tunnels aber auch, neben den vier Metern für den Radschnellweg zudem einen zwei Meter breiten Fußweg zu realisieren.

Dank Ihrem jahrzehntelangen Engagement für den Radverkehr in unserer Stadt kennen Sie die Verkehrsentwicklung Stuttgarts wie kaum ein anderer. Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass aus der Idee für die Umnutzung der Rosensteinbrücke eines Tages Wirklichkeit wird?

Im Alter von 66 Jahren weiß nicht, ob ich jemals selbst über diese Brücke fahren werde, um es mal etwas grinsend zu sagen. Aber ich mache bereits seit fast 39 Jahren Fahrradlobbyarbeit – und für mich ist die Verbindung zwischen Bad Cannstatt und Stuttgart eine der größten Wunden für den Radverkehr in unserer Stadt. Die Chance, hier etwas Vernünftiges zu machen, sollte man sich darum nicht verbauen, indem man einen Park auf der Brücke baut. Wir werden zwangsweise eine totale Verkehrswende in Stuttgart brauchen - und wenn wir nicht von vorne herein eine Option wie mit der Rosensteinbrücke ins Auge fassen, dann verspielen wir eine große Chance.

Lieber Herr Gruner, wir danken Ihnen für das Gespräch.