Ein Brückenschlag zu… Frank Schächner

Im Sommer 2022 ging unsere Kampagne zum Brückenschlag Stuttgart an den Start – die Idee, die alte Rosensteinbrücke in einen öffentlichen Ort zu verwandeln, ist allerdings viel älter. So wirbt – neben dem ehemaligen grünen Bezirksbeirat Peter Mielert – auch der Brückeningenieur Frank Schächner bereits seit mehr als 10 Jahren für die Vision vom Park über dem Neckar. Mit dieser konnten die Beiden in vielen Gesprächen auch Deborah Köngeter und Thorsten Puttenat von der Wählergruppe Die Stadtisten begeistern. Als Teil der Fraktionsgemeinschaft PULS münzten sie die Idee deshalb in einen Antrag im Stuttgarter Gemeinderat. In unserem ausführlichen Interview erzählt Frank Schächner nicht nur, wie es zur Genese seiner Idee kam, sondern auch, warum das Thema Schleusenverlängerung dem Brückenschlag gar nicht im Weg stehen muss und weshalb sowohl ökonomisch, ökologisch als auch soziokulturell einfach alles für den Erhalt der Rosenstein-Eisenbahnbrücke spricht – und zwar sehr deutlich.

   

Wie kamen Sie auf die Idee zur Umnutzung der alten Rosenstein-Eisenbahnbrücke?

Als Bauingenieur war ich für das Büro „Schlaich Bergermann Partner“ seit 2010 an der Planung der neuen Eisenbahnbrücke über dem Neckar beteiligt, die in direkter Nachbarschaft zur alten Rosensteinbrücke entstanden ist. Als die Baustelle losging, habe ich mich viel am Neckar aufgehalten und umgeschaut. Ich fand es schade, dass es in Stuttgart keinen schönen Ort am Fluss gibt, an dem man sich aufhalten kann. Und irgendwann fragte ich mich, warum man die alte Brücke abreißen und durch etwas Neues ersetzen sollte, wenn man sie stattdessen nicht nur als bestehende Verbindung, sondern auch als Aufenthaltsfläche nutzen könnte. Zum einen ist sie mit ihrem Alter von über 100 Jahren historisch, zum anderen ist sie, wenn man von kleinen äußerlichen Schadstellen und Verschmutzungen absieht, ein besonderes Bauwerk, das man sehr gut in Szene setzen kann. Aufgrund der anstehenden S21-Aktivitäten wurden die letzten 20 Jahre lediglich die sicherheitsrelevanten Maßnahmen für die Betriebserhaltung durch die DB durchgeführt. Daher sieht sie heute für viele Betrachter auf den ersten Blick alt und nicht mehr so schön aus. Mein Gedanke war und ist, dass sie aufgrund ihrer großen Fläche – erhoben über dem Wasser und den Straßen – prädestiniert dafür ist, um sie zusätzlich zu einer Verbindung für Fußgänger*innen und Radfahrende auch für qualitätsvolle Aufenthaltsflächen über dem Neckar und Shared Space zu nutzen.

Unabhängig von Ihnen hatte ja auch der damalige grüne Bezirksbeirat aus Bad Cannstatt, Peter Mielert, diese Idee. Wie kam es zu Ihrer Zusammenarbeit?

Ich habe die Idee 2013 in meinem Bekanntenkreis erzählt, woraufhin mich ein Freund und Kollege auf das internationale Symposium „Cities for mobility“ aufmerksam machte, das 2014 im Stuttgarter Rathaus stattfand. Hierfür konnten Entwürfe eingereicht werden, wie man Städte – vor allem im Hinblick auf Verkehre – lebenswerter machen kann. Da passte die Rosensteinbrücke perfekt rein. Wir haben uns Gedanken gemacht und spontan dazu entschlossen, am Symposium mit einem eigenen Stand teilzunehmen. Für die Teilnahme haben wir ein Poster mit zwei Renderings angefertigt, welche die Idee des Erhalts, einer Wegeverbindung über den Neckar und ein Angebot an Freizeitflächen zeigte. Es gab die eine oder andere kritische Stimme, insgesamt war die Resonanz aber sehr positiv und hat direkt die ersten Gesprächspartner angeregt, mit uns über die Idee und die positiven Auswirkungen für die Stadt und die Stuttgarter zu philosophieren. In diesen Gesprächen habe ich erfahren, dass Ende der 90iger ein Antrag von den Grünen mit dem gleichen Ansatz bei der Stadt eingereicht wurde. Es dauerte nicht lange, bis dessen Initiator Peter Mielert persönlich auf mich zukam – und seither sind wir beide im regen Austausch miteinander.

Und wie ging es dann weiter?

Im Jahr 2019 gab es den städtebaulichen Ideenwettbewerb zur Gestaltung des „Neckarknies“, in dem der Erhalt der Brücke als ein mögliches Element in der Landschaftsgestaltung aufgenommen konnte. Auch unser Büro hat am Wettbewerb in einem Planungsteam mit einem Landschafts- und Straßenplaner teilgenommen. Die Mehrheit der teilnehmenden Planungsbüros hatte, wie wir, die Brücke als Bestandteil ihres Entwurfs einbezogen. Im Siegerteam war die Brücke nicht enthalten. Die Stadt- und Straßenplanung würde jedoch genauso gut mit der Brücke funktionieren und sie könnte darin gut integriert werden.

Wie bewerten Sie den Zustand der Brücke als Fachmann?

Aktuell ist die Brücke im Besitz der Deutschen Bahn, die momentan für die Instandhaltung für deren Eisenbahnbetrieb verantwortlich ist. Ich habe die Brücke auch aus ingenieurtechnischer Sicht beleuchtet, um die berechtigte Frage nach dem jetzigen Zustand, dem Umbauaufwand und Folgeaufwand beim Erhalt dieses alten Bauwerks besser abschätzen zu können. Der technische Zustand – auf Basis von Regelinspektionen für den Betriebszustand und in Anbetracht ihres Alters – ist relativ gut. Allerdings bezieht sich diese Zustandsbewertung vor allem auf die Nutzung der Brücke für den viergleisigen Bahnbetrieb und nicht nur auf die Standsicherheit. Wenn die Brücke im Hinblick für eine Nutzung mit Radwege- und Fußgängerverkehr saniert würde und eine neue Abdichtung erhält, könnte sie locker für einige Jahrzehnte durchhalten, ohne dass man dann in Zukunft noch viel Geld in die Hand nehmen muss.

Nun könnte die schöne Idee aber theoretisch an der geplanten Schleusenverlängerung scheitern. Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass wir die Rosensteinbrücke trotzdem erhalten können?

Immer noch gut! Die ursprünglichen Pläne des Bundesverkehrsministeriums mit den avisierten Schleusenverlängerungen von insgesamt 27 Schleusen zwischen Mannheim und Plochingen bis zum Jahr 2050 für 135m lange Schiffe weichen nun wieder einer Instandhaltung der bestehenden Schleusenkammern für die heutigen 105m lange Schiffe. Was dies für die Zukunftsfähigkeit für Berufsneckarschifffahrt bedeutet, steht auf einem anderen Blatt. Meines Wissens wird daher diesbezüglich an einer Schleusenkammerverlängerung momentan nicht weitergeplant. In den nächsten Jahren wird voraussichtlich nichts Konkretes passieren. Wenn doch, würde zunächst eine Vor- und Genehmigungsplanung angestoßen, die wiederum mehrere Jahre brauchen wird, ehe sie durch die notwendigen Verfahren durch ist. Der Bau der Schleusenverlängerungen würde dann von Mannheim flussaufwärts erfolgen. Ob dann bis zum Jahr 2050 die Schleuse Stuttgart an der Reihe ist, bleibt fraglich.

Zu Bedenken ist auch, dass die Schleuse zwei Kammern hat, von denen nur eine verlängert werden muss. Generell könnte man allen Unwägbarkeiten im Zuge eines Schleusenkammerausbaus aus dem Wege gehen, wenn die linke Kammer – flussabwärts gesehen – verlängert würde. Dann gäbe es keine Kollision mit der alten Brücke. Das untere Schleusentor würde dann näher an sie heranrücken, aber bereits erste Konzeptstudien von der Bundesanstalt für Wasserbau zeigen, dass dies möglich ist und das Manövrieren der längeren Schiffe durch das Neckarknie auch mit der verlängerten linken Schleusenkammer funktioniert.

Und wenn stattdessen die rechte Kammer verlängert würde?

Wenn man die rechte Schleusenkammer verlängert und diese ein Stück gleichzeitig noch flussabwärts versetzt wird, würde der freizuhaltende Verkehrsraum für die Schifffahrt aufgrund des dann höheren Wasserspiegels mit dem Brückenbogen kollidieren – und das Ganze nicht mehr funktionieren. In diesem Fall müsste der Bogen herausgenommen werden und man hätte zwei Brückenköpfe, die nicht mehr miteinander verbunden sind. Aber auch das wäre eine Überlegung wert, den Bestand in einigen Jahrzenten beispielsweise als Stadtterrassen zu erhalten. Ebenso wäre ein neuer, in die Brückenköpfe eingehängter Steg mit weniger Bauhöhe technisch machbar. Da man aber nicht ohne Weiteres einen Bogen herausnehmen kann, ist diese Variante aufwändiger. Sowohl aufgrund der Kosten als auch städtebaulich wäre es deshalb schöner und sinnvoller, die Brücke so zu erhalten, wie sie ist. Fakt ist : Güterverkehr auf dem Neckar und der Erhalt der alten Brücke können auf jeden Fall zusammengehen.

Darüber, was wir auf einer umgenutzten Rosenstein-Eisenbahnbrücke brauchen, gibt es verschiedene Ansichten – besonders beim Thema Radschnellweg. Wie stehen Sie dazu?

Damals beim Ideenwettbewerb hatten wir es als reine Fußgängerbrücke konzipiert, weil dadurch natürlich die Aufenthaltsqualität steigt. Inzwischen glaube ich aber, dass es dort auch eine Radwegeverbindung geben muss. Das geht aus den Zahlen hervor, die uns zum Steg unter der neuen Eisenbahnbrücke vorliegen: Die Nutzung durch Radfahrende ist deutlich höher, als damals bei der Planung des Steges angenommen wurde – und sie wird noch weiter zunehmen. Der vorhandene Steg allein wird deshalb in Zukunft nicht mehr ausreichen und wir werden einen zweiten Übergang brauchen. Dafür bietet sich die alte Rosensteinbrücke perfekt an. Und da sie mit ca. 16 Metern relativ breit ist, sehe ich einen Radschnellweg an dieser Stelle inzwischen weniger kritisch, zumal wir diesen zum Beispiel durch Bepflanzung von den Fußgänger*innen und Aufenthaltszonen abtrennen könnten. Natürlich wäre auch eine Geschwindigkeitsbegrenzung denkbar, aber wenn wir nach vorne schauen, wird der E-Bike-Anteil noch deutlich zunehmen. Der Radverkehr wird in jedem Fall schneller.

Die freiwerdenden Tunnelröhren böten in Verbindung mit der Brücke ja auch eine große Chance für den Radverkehr in Stuttgart.

Auf jeden Fall! Zur Rosensteinparkseite wäre die Anbindung einfach und sehr gut, denn wenn man eine Tunnelröhre nutzt, könnten Pendler*innen auf einer Gleistrasse bequem von Stuttgart aus die Brücke erreichen – und zwar mit einer ausreichenden Fahrbahnbreite und vor allem ohne Steigungen. Die Anbindung auf der Bad Cannstatter Seite wäre aufgrund des wenigen Platzes etwas komplizierter. Hier bräuchte es eine Rampe hinunter zur Schönestraße mit Verbindung zum Uferweg und einen Zugang weiter in Richtung Bahnhof Bad Cannstatt.

Hand aufs Herz: Glauben Sie, dass es den Brückenschlag geben wird?

Ich hoffe es sehr. Es macht einfach Sinn, die Brücke zu erhalten und diesen Aufenthaltsort zu schaffen – und zwar nicht nur, weil es unsere Lebensqualität in Stuttgart erhöhen würde. Denn darüber hinaus zeigt sich, dass die jetzige Radverbindung nicht ausreicht und wir hier in jedem Fall eine zusätzliche Verbindung brauchen werden. Ein zusätzlicher Verbindungssteg unter der neuen Eisenbahnbrücke ist allerdings keine Option. Natürlich könnte man die Rosenstein-Eisenbahnbrücke abreißen und ungefähr an derselben Stelle einen neuen Steg bauen, um den Anschluss an den Tunnel zu ermöglichen. Der Preis dafür ist: ein bestehendes, historisches Bauwerk abreißen, enorm viel Bauschutt produzieren und die graue Energie, die dort schon reingesteckt wurde, ohne Not vernichten. Wofür? Um dann ein neues Bauwerk an der gleichen Stelle zu errichten. Aus Nachhaltigkeitsgesichtspunkten und mit Blick auf die Gelder, die hierfür notwendig wären, wäre ein neues Bauwerk nur schwer erklärbar. Im Gegenzug ist es günstiger, die alte Brücke zu sanieren und eine Wegeverbindung anzulegen, als sie abzureißen und eine neue Brücke zu bauen, die dann wesentlich schmaler wäre und keine oder nur wenig Aufenthaltsqualität bietet.

Ich sehe im Erhalt und Neugestaltung der Brücke einen weiteren Impact für Stuttgart weit über die Stadtgrenzen hinaus. Die Stadt hat die Chance, ein Projekt umsetzen, das ein Highlight für Einheimische und Touristen wird, die sich den Weg über die Brücke und den ruhigen Blick hoch über dem Neckar in die wunderbare Szenerie des Neckartals nicht entgehen lassen möchten. Ökonomisch, ökologisch und soziokulturell spricht also alles für den Erhalt der Rosenstein-Eisenbahnbrücke – und zwar sehr deutlich. Deshalb hoffe ich und bin gleichzeitig davon überzeugt, dass es dazu auch kommen wird.